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Landsberg – Inklusion: ein geflügelter Begriff, ein erstrebenswertes Ziel, ein poli­tisches Schlagwort. Es geht um die gleichberechtigte Teilhabe behinderter Menschen am gesellschaftlichen Leben. Einer, der diese Idee lebt, ist Jonas Pioch. Doch seit
einiger Zeit hat er den Eindruck, dass zu viel Inklusion scheinbar auch nicht gewollt ist.

Klingelt man bei Jonas Pioch an der Tür, öffnet sein Assistent. Den benötigt der 24-Jährige, der seit seiner Kindheit wegen einer Muskelerkrankung auf den Rollstuhl angewiesen ist, um seinen Alltag zu bewältigen, einen „normalen“ Alltag zu leben. Er kennt es nicht anders, will es nicht anders. Mit Hilfe seiner Familie besuchte er einen regulären Kindergarten, eine ganz normale Grundschule, später das Ignaz-Kögler-Gymnasium. Früh interessierte er sich für Politik, mit 16 Jahren begann er sich im Jugendbeirat zu engagieren, kandidierte mitten in der Abiturvorbereitung für den Landsberger Stadtrat – und wurde gewählt. Seit 2008 angehört er ihm nun schon an.

Mehr geht nicht

Ein Jahr später schrieb sich Jonas Pioch für ein Jurastudium an der Universität Augsburg ein, gerade hat er das Erste Staatsexamen absolviert. Seit 2007 organisiert er zusammen mit Markus Wasserle die Landsberger Ausbildungsmesse. „Mehr Inklusion geht eigentlich nicht“, betont Pioch. Ein bemerkenswerter Weg für einen behinderten Menschen, ein vorbildliches Engagement, sollte man meinen.

Doch um diesen Weg zu gehen, muss Jonas Pioch bildlich gesprochen gegen Windmühlen in Gestalt der aktuellen Gesetzeslage kämpfen. „Die soge­- nannte Inklusion funktioniert nur bis zur Hochschule, dann ist Stopp“, fasst Pioch zusammen. Denn der Gesetzgeber sieht vor, dass die persönliche Assistenz nur dann vom Staat bezahlt wird, wenn das Gesamt­vermögen des Behinderten weniger als 2600 Euro beträgt, das Schaffen von Rücklagen für eventuelle Notsituationen oder auch nur eine Autoreparatur ist also nicht möglich.

„Da ich vor dem Studium gearbeitet habe, war mein Kontostand etwas über dem Betrag, also wurde mir die beantragte Studienbegleitung verweigert“. Eine Klage dagegen wurde abgewiesen. „Das ist absurd“, so der Landsberger, seit der Abschaffung der Studiengebühren kann jeder kostenlos studieren, ein behinderter Student muss zahlen, um die Hochschule zu besuchen“.

Sollte Jonas Pioch nach dem Studium eine Stelle antreten, würde sich seine finanzielle Lage nicht bessern. Zwar würde die Arbeitsassistenz bezahlt, nicht aber die häusliche: „Ich würde wahrscheinlich ein Gehalt beziehen, das dem Spitzensteuersatz unterliegt. Der Staat würde die Steuern kassieren, ich müsste Versicherung und Miete abführen. Von dem was übrig ist, wird soweit Geld abgezogen, bis ich wieder bei 2600 Euro reines Vermögen angekommen bin. Das kann zum Teil weniger sein als ein Hartz IV Empfänger bekommt. Und das ist eine Milchmädchenrechnung des Staates. Denn wenn ich nicht arbeite, bezahlt der Staat die Assistenz und hätte meine Steuern nicht.“

An der Realität vorbei

Hochqualifizierte Akademiker, die das Gefühl haben, umsonst zu arbeiten? „Diese Vermögensgrenze ist völlig an der Realität vorbei“, sagt Pioch. Außerdem: wenn ein Behinderter eine Partnerschaft eingeht oder heiratet, wird das Vermögen des Partners ebenfalls zur Deckung der Assistenzkosten herangezogen, wird die Bezie­hung zum Armutsfaktor.

Angesichts der Klagen über den Fachkräftemangel ist es kaum nachzuvollziehen, dass hier Ressourcen verprellt werden. Ein weiteres Absurdum ist der Umgang mit dem Ehrenamt – auch im Hinblick auf den letzten Volksentscheid, der auf die Aufwertung des Ehrenamtes zielt. Für seine Tätigkeit im Stadtrat erhält Jonas Pioch ebenfalls keine Assistenz, da er ja, wie jeder Stadtrat, eine Aufwandsentschädigung für diese Arbeit erhält. „Dadurch wird das Ehrenamt von der Behörde nicht mehr als solches angesehen“.

Auf Nachfrage erhielt Pioch von der zuständigen Sachbearbeiterin die lapidare Auskunft, es „sei nicht Aufgabe des Staates, Behinderten ehrenamtliche Tätigkeiten zu ermöglichen“. Natürlich werde gesellschaftliche Teilhabe gefördert, aber in engem Rahmen. Jonas Pioch bringt es auf den Punkt: „Wenn ich mit meinen Freunden aufs Oktoberfest fahren und mich betrinken würde, würde der Staat dafür zahlen. Wenn ich mich im Stadtrat engagiere, nicht.“

Angesichts dieser Barrieren fragt sich der angehende Jurist schon manchmal, ob sich die viele Arbeit lohnt: „Besonders, wenn man ganze Nächte durch lernt, ist das schon frustrierend vor diesem Hintergrund. Das Gesetz sieht den erfolgreichen Behinderten nicht vor und so viel Inklusion ist scheinbar doch nicht gewollt“. Doch aufgeben will er nicht, weder sein Studium noch seine ehrenamtlichen Tätigkeiten. „Die Arbeit im Stadtrat ist Herzblut, ich will mich für Dinge einsetzen. Dafür überwinde ich auch diese Barrieren!“.

Patricia Eckstein