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Jonas Pioch hat eine spinale Muskelatrophie, Pflegestufe drei. Trotzdem engagiert er sich in der Lokalpolitik und steht kurz vor dem juristischen Staatsexamen. Er könnte ein Musterbeispiel gelungener Inklusion sein. Doch der junge Rollstuhlfahrer fühlt sich behindert - von den Gesetzen.

Von Sebastian Kempkens und Lisa Schnell

Jonas Pioch hat ein gemeinnütziges Unternehmen gegründet, noch bevor er sein Abitur in der Tasche hatte. In seiner Heimatstadt Landsberg am Lech sitzt er im Stadtrat, seitdem er 18 Jahre alt ist. Niemand in Bayern hat das früher geschafft als er. Inzwischen steht der 24-Jährige kurz vor dem juristischen Staatsexamen. Pioch sitzt im Rollstuhl. Er hat eine spinale Muskelatrophie, Pflegestufe drei. Höher werden nur Komapatienten eingestuft. Er kann nicht aufstehen, kann nicht gehen, seine Beine tragen ihn nicht. Er kann nicht einmal ein Buch aus dem Regal nehmen, so schwach sind seine Hände.

Pioch würde dennoch nie sagen, er habe all das erreicht, obwohl er behindert ist. Ein Leben zu führen wie viele andere in seinem Alter auch, das war für ihn immer selbstverständlich. Bis er merkte, dass der Staat das offenbar anders sieht. Als Jonas Pioch nach dem Abitur auf die Universität gehen wollte, lehnte die Regierung von Oberbayern seinen Antrag ab, eine sogenannte Hochschulhilfe zu finanzieren - also jemanden, der für ihn die Türen öffnet oder Bücher aus den Regalen nimmt.

Während der Schulzeit werden behinderten Menschen ihre Begleitpersonen noch finanziert, egal wie groß das Vermögen des Betroffenen ist. Will aber jemand wie Pioch eine Universität besuchen, muss er die benötigte Hilfe selbst zahlen, solange er mehr als 2600 Euro auf dem Konto hat. So schreibt es das 12. Sozialgesetzbuch fest. Pioch klagte, erfolglos. Er ging in Berufung, die letzte Entscheidung steht noch aus. Bis dahin bekommt er Unterstützung.

Vermögensgrenze von 2600 Euro

Pioch denkt und redet schnell. Vor allem, wenn es um Juristisches geht. Das liegt an seinem rechtswissenschaftlichen Studium. Aber auch an seiner Situation: Pioch ist eingeklemmt zwischen Paragrafen und Gesetzen. Sie behindern sein Leben mehr als sein Körper. Deshalb redet er gegen sie an. Sein Problem ist das vieler Behinderter, die arbeiten wollen: Die Gesetze halten ihn und andere künstlich arm.

Der Tag der Gerichtsentscheidung, so erinnert sich Pioch, hat seine Sicht auf seine Rolle in der Gesellschaft verändert. Er wollte sich nie von seiner Behinderung einschränken lassen. "Ich will etwas schaffen", sagt er. Doch nach dem Urteil habe er gemerkt: Offenbar gibt es für ihn Grenzen. "Da habe ich mich wirklich behindert gefühlt."

Barbara Juchem ist Behindertenbeauftragte in Landsberg, sie kennt Jonas Pioch schon lange. "Behinderte werden ungerecht behandelt, wenn die Unterstützung vom Einkommen abhängig ist", sagt sie. Die Hilfen für Menschen mit Handicap orientieren sich an der Sozialhilfe - Devise: Der Staat hilft nur, solange es nötig ist. Die Vermögensgrenze liegt auch bei Sozialhilfeempfängern bei 2600 Euro.

Der Grundgedanke solcher Gesetze ist, dass sich der Empfänger aus seiner misslichen Lage herausarbeiten kann. Juchem sagt: "Das Problem ist: Wie soll sich ein Behinderter aus seiner Misere befreien? Sie begleitet ihn ein Leben lang." Die Unterstützung sollte einkommensunabhängig sein, fordert sie. Für Pioch würde das bedeuten: Egal, wie viel er auf dem Konto hat - der Staat würde seine Hochschulbegleitung zahlen.

Die Ablehnung der Hochschulhilfe war aber erst der Anfang. Den nächsten Rückschlag erlebte Pioch, als er Unterstützung für sein Amt als Stadtrat beantragte. Er braucht jemanden, der ihm sein Mikrofon im Sitzungssaal anstellt, und vor allem muss ihm jemand helfen, abends nach Hause zu kommen. Viele Sitzungen enden spät, jedes Mal muss er abholt werden. Er wohnt noch zu Hause, damit sich seine Eltern besser um ihn kümmern können. Auch seine beiden jüngeren Schwestern helfen mit. Das Ehrenamt von Jonas Pioch ist für die Familie immer wieder auch eine Belastung.

Auf seinen Unterstützungsantrag bekam er keine Antwort. Als er nachfragte, hieß es: Wir zahlen nicht, Ehrenamt ist Arbeit und keine Freizeit. Was seltsam klingt, ist vom Staat so gewollt. Würde Pioch nicht im Stadtrat arbeiten, sondern auf der Wiesn ein paar Maß trinken, dann würde der Staat ihm eine Begleitperson bezahlen. Ihm stehen monatlich 45 Stunden Freizeitbegleitung zu, das regelt das Teilhabegesetz. Behinderte sollen sich ins gesellschaftliche Leben integrieren können, zumindest für eineinhalb Stunden am Tag. Die Hilfe ist jedoch streng zweckbezogen: Pioch muss Freizeit machen. Für ein Ehrenamt ist das Geld nicht gedacht.

"Ich finde, das ist ein irritierendes Verständnis von Ehrenamt", sagt er. Darum gehe es doch gerade: sein Engagement nicht als Arbeit zu verstehen, sich unentgeltlich für etwas einzusetzen. Kann man sich eine bessere Integration in die Gesellschaft vorstellen? Und fordere die Politik nicht gerade, dass sich mehr Menschen ehrenamtlich engagieren?

Aber die Geschichte wiederholte sich, die Sozialbehörde lehnte Piochs Antrag ab. Die Begründung: Es sei nicht Aufgabe des Sozialgesetzbuchs, Behinderten ein Ehrenamt zu ermöglichen. "Das ist doch skandalös", sagt die Behindertenbeauftragte Barbara Juchem. "Was ist das für eine Botschaft an Behinderte? Das Ehrenamt ist nichts für euch." Jonas Pioch jedenfalls fühlte sich ein weiteres Mal behindert.

Pioch könnte genauso von Sozialhilfe leben, will aber nicht

Der nächste Tiefschlag steht indes schon bevor: Vom kommenden Jahr an wird Pioch als Rechtsreferendar zum ersten Mal sein eigenes Geld verdienen, etwas mehr als 1000Euro im Monat. Freuen kann er sich darauf nicht so richtig. Ein paar Euro für einen Urlaub oder für Reparaturen am Auto zurückzulegen, das wird trotzdem nicht drin sein.

Hat er 2600 Euro gespart, wird ihm sein Gehalt für die Hochschulbegleitung abgezogen. Und er fragt sich: Wie soll er da jemals Geld beiseite legen, um irgendwann eine Familieernähren zu können? "Das ist unheimlich frustrierend", sagt Pioch. "Gerade in stressigen Zeiten wie der Lernphase vor dem Staatsexamen überlege ich mir schon: Warum mache ich das überhaupt, wenn ich am Ende eh fast nichts behalten darf?"

Würde er nicht studieren, nicht arbeiten, wäre das finanziell kein großer Unterschied für ihn. Die Freizeitbegleitung bekäme er trotzdem gezahlt. Er könnte von Sozialhilfe leben und in einer Behindertenwerkstatt arbeiten. Steuern würde Pioch dann keine zahlen und den Staat damit deutlich mehr kosten. Er hat es ausgerechnet: Im Moment gibt der Staat 2500 Euro im Monat für ihn aus. Würde er nichts tun und alle Hilfen in Anspruch nehmen, würden die Kosten auf etwa 8000 Euro steigen.

"Es geht nicht darum, den Staat auszunehmen", sagt Jonas Pioch. Er und seine Familie versuchen, möglichst viel selbst zu übernehmen. Die Freizeithilfe beispielsweise hat er vor kurzem zum ersten Mal beantragt. "Ich habe viele gute Freunde", sagt er. "Die können mich genauso gut mit unserem VW-Bus herumfahren wie ein Sozialarbeiter." Es geht für ihn nur darum, die Leistungen zu bekommen, ohne die er sein Leben nicht selbstbestimmt leben kann. Dass die Bundesregierung 2013 zum Jahr der Inklusion erkoren hat, darüber kann Jonas Pioch inzwischen nur noch lachen.